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Kapitel 4

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Die Seeschelde nach Gent

Der Kanal von Brüssel Richtung Antwerpen wird beherrscht von Industrie und Brücken. Hubbrücke, Drehbrücke, Hebebrücke, Klappbrücke, wir kommen nur im Schritt voran.
Der Verkehr ist erstaunlich. Große Frachtschiffe, kleine Penischen, seegehende Kümos, sogar ein richtiges Seeschiff, der Aufbau so hoch wie ein Tower, es wimmelt wie auf der Autobahn. In der letzten Schleuse vor der Seeschifffahrtsstraße, der Seeschelde, werden wir kontrolliert und müssen genau angeben wohin wir wollen.
Von hier aus kommt man in die Nordsee oder wie wir im Innenland Richtung Gent.

 

 

Wir haben unverdientes Glück, es ist Flut.
Keiner von uns hat sich ernsthafte Gedanken gemacht, dass die See hier ja kilometerweit, mit einem Tidenhub bis zu 6 m ins Innenland drückt.
Glückskinder wie wir lassen sich von der Flut anschieben und kommen bombig voran. Das ist auch gut so, einen vernünftigen Liegeplatz bekommt man hier nicht.


Die Seeschelde ist landschaftlich ähnlich dem Niederrhein. Sandige Ufer, Schilfgürtel und flaches Land.
Bei immer noch steigender Flut erreichen wir die Schleuse nach Gent.
Mein Kapitän ist genauso mutig, wie seine Mannschaft lauffaul, also fährt er auf der Suche nach einem Schlafplatz vorsichtig in die Leie Richtung Innenstadt. Und schafft es auch tatsächlich, eine wunderschöne Fahrt und ein toller Liegeplatz mitten in der Stadt am Justizpalast von Gent.

Im Mittelalter war Gent eine der reichsten und größten Metropolen Europas.
Kaiser Karl V. wurde i.J. 1500 hier geboren. Mit 16 Jahren wurde er König von Spanien, mit 19 Kaiser der Deutschen. Um seinen Krieg gegen Frankreich zu finanzieren presst er immer mehr Steuern vom Volk. Als sich ihm die Genter widersetzen bestraft er sie schwer. Er lässt 26 Bürger hinrichten, das Vermögen der Zünfte beschlagnahmen und hohe Geldbußen eintreiben. Unter der Knute der Spanier war der wirtschaftliche Untergang der Stadt besiegelt. Erst im 18.Jh. unter österreichischer Herrschaft bahnte sich durch die Ansiedlung der Baumwollindustrie ein neuer wirtschaftlicher Aufschwung an.

Gent war zwar in beiden Weltkriegen von Deutschen besetzt, hat aber keine größeren Schäden erlitten. Der ganze mittelalterliche Stadtkern ist erhalten.
Mittelpunkt des alten Stadtkerns ist die Sint-Baafs-Kathedraal, auch St.-Bavo-Kathedrale genannt, mit dem berühmten Genter Altar der Brüder Hubert und Jan van Eyck. Der Altar ist ein auf zwölf Eichentafeln gemaltes Polyptychon aus dem 15.Jh. "Lamm Gottes". Der große Flügelaltar ist das monumentalste Beispiel mittelalterlicher Altarmalerei. Er gilt als wichtigster Schritt weg von der ikonenhaften Malerei des Mittelalters hin zu realistischer Malweise. Er gibt in klaren bunten Bildern eine Darstellung des menschlichen Seelenheils vom Südenfall bis zur Erlösung. Das Altarbild gelangte schon bald nach seiner Entstehung zu großer Berühmtheit und erlebte eine wechselvolle Geschichte.

Philipp II. versuchte es an sich zu bringen. 1640 konnte es nur knapp vor einem Feuer gerettet werden. Der österreichische Kaiser Joseph II. ließ 1781 die Tafeln mit Adam und Eva entfernen, weil sie nackt waren. Sie wurden durch "bekleidete" Kopien ersetzt. Die Mitteltafeln wurden 1794 nach Paris entführt und im Louvre ausgestellt. Sechs Flügel kaufte der preußische König und ließ sie im Berliner Museum ausstellen. 1815 kehrten die Mitteltafeln aus Frankreich zurück, 1861 erwarb das Brüsseler Museum die wiedergefundenen Tafeln mit den nackten Adam und Eva. Die Deutschen mussten lt. Versailler Vertrag die Berliner Stücke herausrücken. 1920 konnte das ganze Werk, mit Ausnahme des Sockels, der schon im 16. Jh. verloren ging, wieder in der Kathedrale ausgestellt werden. 1934 wurden zwei Tafeln des linken Flügels gestohlen. "Johannes der Täufer" kam zurück, aber "Die gerechten Richter" wurden nicht wieder gefunden und durch eine Kopie ersetzt. Im zweiten Weltkrieg ließ man den Altar nach Pau in Südfrankreich auslagern. Doch da wurde er 1942 von deutschen Truppen gefunden und in ein Salzbergwerk in der Steiermark gebracht. Dort wiederum entdeckten ihn die amerikanischen Truppen und sorgten für die Rückgabe. Jetzt ist er in einem eigenen Raum im Seitenschiff der Kathedrale gut bewacht untergebracht. Er ist mit einer 1,2 Mio. DM teuren und 33 mm starken schuss- und säuresicheren Glasscheibe geschützt und kann besichtigt werden. Eine von Agfa angefertigte Copy wird zusätzlich in der Kirche gezeigt, auf den ersten Blick nicht als Foto zu erkennen.

Natürlich ist der Genter Altar nicht das einzige Kunstwerk. Jahrhunderte lang wurde immer wieder ein Stück angebaut und hinzugefügt. So dass die Kirche selbst schon ein Kunstwerk ist, Backstein, Granit, Marmor in allen Farben, romanisch, hochgotisch, spätgotisch, Barock, die Orgel, sie ist die größte in Benelux, die Kanzel aus Eichenholz, die Krypta mit dem Kirchenschatz. Wir haben selten eine beeindruckendere, überladenere und reichere Kirche gesehen. Selbst ein Bild von Rubens hängt hier.



Und wir besichtigen auch Gravensteen, die Burg der Grafen von Flandern. Tja, was soll man dazu sagen. Der Ursprung der Burg reicht ins 9. Jh. zurück.

Man behauptet sie wäre auch heute noch ein fast einzigartiges Beispiel mittelalterlicher Befestigungskunst. Im 14.Jh. verlor die Burg ihre militärische Funktion. Um 1800 kam sie in Privatbesitz und wurde zur Baumwollspinnerei und Wohnungen für die Arbeiter umgebaut.<

Von der ursprünglichen Burg war nicht mehr viel zu erkennen und wohl auch nicht übrig. Von 1894 bis 1913 wurde die Burg umfassend restauriert und teilweise neu aufgebaut. Ich kann nicht leugnen, dass sie sehr imposant ist. Ein etwas verwirrender Steinkoloss von dessen Zinnen man einen herrlichen Blick über die Stadt hat. Interessant ist es die Folterkammer zu besichtigen. Es ist erstaunlich, was Menschen sich so alles einfallen lassen um ihre eigene Spezies zu quälen. Auch eine Guillotine ist vorhanden, angeblich noch mit dem original Henkermesser. Zu dieser Zeit wurde die Todesstrafe nach Ansehen und Wichtigkeit des Verurteilten ausgesprochen. Die armen Teufel wurden gehängt oder ertränkt oder gar gegeißelt bis zum Tode. Die Reichen wurden mit dem Schwert geköpft. Bis Dr. Guillotine dieses Gerät erfand um jedem einen humanen Tod zu bescheren. Vielleicht hatte der Doktor eine etwas verwirrte Vorstellung von Humanität.

Innen ist die Burg genau wie außen. Nicht mal die Wohnung der Grafen hat etwas freundlich gemütliches, oder wenigsten pompöses. Alles nur nackte Quadersteine. Meiner Vorstellung eines feudalen Herrensitzes würde diese Ritterburg nicht entsprechen. Da müsste mein Spatzel schon sein ganzes handwerkliches Können auffahren und einige drastische Änderungen vornehmen, wenn ich da einziehen sollte.

Da kommt der Baustil des Belfried meinem Geschmack schon näher. Der 91 m hohe Turm ist das Symbol der Unabhängigkeit der Stadt, in dem die Privilegienurkunden aufbewahrt wurden. Die Turmspitze beherbergt ein Glockenspiel aus 37 kleineren und drei großen Glocken, die größte Roeland genannt.

Glockenspiele sollen erstmals um das Jahr 1370 im heutigen Belgien aufgetaucht sein. Der Ursprung war ein mit der Hand ausgeführter Schlag auf eine Glocke. Später wurde die Anzahl der Glocken vergrößert, so dass man eine Melodie spielen konnte. Dann wurde eine Klaviatur und Pedalerie eingeführt. Die Vollendung wurde erreicht mit einem mechanischen von Uhrwerken angetriebenem Glockenspiel, das auch verschiedene Melodien spielen konnte. Bei besonderen Anlässen können die Glockenspiele heute nicht nur mechanisch, sondern mittels der Klaviatur auch von Hand gespielt werden. Das ist natürlich eine Kunst für sich. Es existiert nur eine Schule für Glockenspieler auf der Welt in Mechelen bei Antwerpen in Belgien.

Zufällig stolpern wir in eine große Halle. Unheimlich hoch, ein sehr beeindruckendes Gebälk, abgeteilt ein Feinkostladen. Das ehemalige Fleischhaus. Im Gebälk, hoch oben, für Möchtegern Diebe wie uns unerreichbar, eine immense Anzahl von Schinken zum Trocknen aufgehängt. Die Lefzen von meinem armen Spatzel werden immer feuchter, doch unerreichbar eben. Und zum Kaufen ist er zu geizig.

Was uns in Gent besonders angenehm auffällt?.................... Überall ist es blitzsauber!!

Gent ist eine Stadt in der wir uns sofort heimisch fühlen. Wir verweilen auch ein paar Tage, lassen Regen und Sturm über uns hinweg ziehen. Metzger, Bäcker, Fischgeschäfte, überall schnüffeln wir herum. Doch wenn man erst mal alles kennt, zieht es einem auch weiter.



Bilder Heinz-Dieter Pohl