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Canal de St. Quentin Früh brechen wir auf. Heute liegt ein hartes Stück Arbeit vor uns. Während des 1. Weltkrieges dienten beide Tunnel den Deutschen als Verteidigungsanlage innerhalb der Hindenburglinie. Es bestanden Verbindungsgänge zu anderen unterirdischen Befestigungsanlagen. Sie waren praktisch uneinnehmbar und dienten als Lazarette, Stallungen und Kommandozentrale. Die Fahrt ist unendlich langsam. Nach einer halben Stunde zeigt die Markierung 500 zurückgelegt Meter. Die Szenerie ist gespenstisch und gruselig, wie sich diese Riesen lautlos durch die enge Röhre bewegen. Glücklicherweise ist keiner von uns besonders ängstlich oder neigt zu Platzangst. Am Tunnel wurden schon viele Reparaturarbeiten durchgeführt. Teilweise ist die Decke untermauert, manchmal kann man aber noch sehen, wo sie einige Meter hoch eingebrochen ist. Fast sämtliche Entlüftungsschächte sind eingebrochen und verschlossen. Wahrscheinlich auch der Grund, dass man nicht mit eigener Kraft durch den Tunnel fahren darf. Die rechte Wand neben uns ist voller Schleifspuren von Schiffen und bis in meine Kopfhöhe völlig glattgescheuert. Manfred muss sich unheimlich aufs Lenken konzentrieren. Die Penische an der wir hängen hat ihr Ruder eingeschlagen, das ablaufende Wasser dahinter verwirbelt uns nach steuerbord. Um nicht an der Wand zu scheuern, muss Manfred ständig gegenlenken. Nach zwei Stunden wird mir langweilig, ich gehe nach unten kochen. Zu essen soll es ja heute auch noch was geben. Im Bauch des Schiffes ist es wirklich still wie in einem Grab, nicht mal das Gluckern des Wassers ist hier zu hören. Es ist stockdunkel. Ich schließe die Augen und es gelingt mir das Stöhnen der verwundeten Soldaten zu hören, das Geklapper der Pferdehufe und die harschen Kommandos der Offiziere. Bevor die Fantasie ganz mit mir durchgeht, mache ich Licht und setze mein Sauerkraut auf, damit wir wenigstens ab und an dem Klischee des Deutschen entsprechen. Da ruft Manfred schon von oben: "Wir haben nur noch 400 m, du wolltest doch den Ausgang filmen." Penische für Penische hängt ab, auch ich sammle unser Tau wieder ein. Die Oberwelt hat uns wieder. Der Schlepper legt an. Hinter ihm schon wieder zwei neue Aspiranten für den Schleppzug von morgen. Wir zuckeln hinter den Penischen weiter. Die Scheitelhaltung zwischen den beiden Tunneln kann nur im Einbahnverkehr befahren werden, so schmal ist hier der Kanal. An einer breiteren Stelle winkt unser Vordermann, wir sollen doch vorbei fahren. Oh nein danke, eine Penische hoch wie ein Haus vor uns und eine hinter uns, darauf können wir verzichten. Eine Verladestelle, mit Silos bis in den Himmel, taucht auf. Der Verkehr vor uns kommt ins Stocken. Der Schiffsmann winkt uns vorbei. Schlenkert mit den Armen, er müsse hier drehen und laden. Wir drücken uns vorbei, beim nächstens ebenso. An fünf Schiffen schieben wir uns vorbei, der sechste ist gerade vor uns in einer Ausbuchtung am Wenden. Im Abstand von höchstens einem Meter quetschen wir uns an seinem Heck vorbei. Alle fahren nur bis hierher und laden Weizen. Die wären wir los, doch einen Liegeplatz für die Nacht haben wir immer noch nicht, als vor uns der nächste Tunnel auftaucht. Es ist bereits halb neun. Was ist zu tun? Der Tunnel ist nur 1300 m lang und kann im Einbahnverkehr befahren werden. Es ist weder eine Ampel noch eine andere Regelung zu sehen. Wir schauen uns etwas ratlos an. Manfred sagt: " Das Schlimmste was uns passieren kann, ist, dass von der anderen Seite ein Schiff kommt, dann müssen wir halt rückwärts wieder raus!" Na das sind ja fröhliche Aussichten. Laut hupend fahren wir in den Tunnel ein. Der Ton wird immer länger, zieht sich wie Kaugummi, eilt durch den ganzen Tunnel, das Echo hört man noch Sekunden später. In voller Marschfahrt preschen wir durch die Röhre, immer in der Hoffnung, dass von vorne nichts kommt. Eine Minutensache, schon sind wir wieder draußen. Die Eile war unangebracht. Auf dieser Seite des Tunnels ist eine Ampel und die sperrt die Zufahrt mit feuerrot. Doch einen Schlafplatz haben wir immer noch nicht. Manfred will bis zur nächsten Schleuse. Im Schleusenbereich ist der Kanal immer breiter, da finden wir sicher einen Poller. Und wirklich, ein Poller hinter dem anderen. Dass direkt daneben ein Kuhstall ist, das stört uns heute überhaupt nicht. Als wüssten die Rindviecher, das wir todmüde sind, machen sie die ganze Nacht nicht mal einen Muher. Wir schlafen wie die Steine und werden nur wach, weil uns die Sonne , oh Jubel, grell ins Gesicht scheint. St. Quentin ist unser Ziel. Wenn die Franzosen es aussprechen klingt es wie Sakrotan. Außer dem Bahnhof und einem kleinen Badesee daneben, ist die Uferfront dieser großen Stadt eine Katastrophe. Genau wie das Umfeld des Jachthafens. Bei diesem strahlenden Wetter direkt neben einer viel befahrenen Straße und einem stark frequentierten Bauhof zu liegen, das tun wir uns nicht an. Also weiter. In einem winzig kleinen Village, der Hafenmeister sagt 900 Einwohner, ist ein goldiger kleiner Hafen. Eine freundliche Umgebung, Strom, Wasser, Einkaufsladen und viel Natur, kann man mehr verlangen? Hier werden wir einige Tage pausieren und das hoffentlich schöne Pfingstwetter genießen. Fortuna lächelt, doch sie mag
Nur ungern uns beglücken; Schenkt sie uns einen Sonnentag, Schenkt sie uns auch die Mücken. Man kann Herrn Busch manchmal nur schwer widersprechen. Wer Natur pur hat, hat auch Autan und Mückengitter. In diesem teils sumpfigen Gebiet, mit vielen kleinen Wasserläufen ist das zu erwarten. Doch erstaunlicherweise halten sich die Stecher in Grenzen und die Flattermänner haben am nächsten Tag sowieso ausgeflattert. Einwandfrei sind hier die Nachtigallen die Herrscher der Dunkelheit und der Kuckuck der König des Tages. Immer wieder werden wir von Bekannten, auch solchen die selbst nicht mehr berufstätig sind, gefragt:" Was macht ihr denn den ganzen Tag auf dem Boot?" Eigentlich müsste ich die Gegenfrage stellen:" Was macht ihr denn den ganzen Tag zu Hause?" Doch ich weiß was man in gewohnter Umgebung tut. Man unterwirft sich Technik, Pflichten und moderner Kommunikation. Man beugt sich moralischen Verpflichtungen und ungesundem Eifer. Die Uhr beherrscht die Zeit des Menschen und zwingt ihn in negativen Stress. Man ist seinem Alltagsleben hilflos ausgeliefert. Ständige Dates und Termine sind nichts anderes als Flucht vor sich selbst. Aus Panik eine unbekannte Wichtigkeit zu verpassen hetzen die Menschen hinter ihrer eigenen Persönlichkeit her. Wir haben eine andere Form des Lebens für uns entdeckt. Wir haben unser inneres Gleichgewicht gefunden und wir sind reich. Wer Reichtum mit Geld verwechselt, der hat allerdings nichts verstanden. Unser Reichtum ist die Zeit. Die Zeit, die wir uns nehmen und die uns zur Verfügung steht, um nachzudenken, um uns zu erinnern oder einfach nur dem Summen der Bienen zu lauschen. Man wird lernen das Tirilieren aus Hunderten von Vogelkehlen zu hören und zu erleben. Man kann bewusst eine Blumenwiese sehen und genießen. Eine Dotterblume ist genauso schön wie eine Baccara-Rose. Eine naturbelassene Wiese ist schöner als jeder englische Rasen. In jeder Ruine kann man die einstige Schönheit erkennen, wenn man nur will und sich die Zeit dafür nimmt. Es gibt keine Minute des Tages in der es uns langweilig ist. Wir genießen es in der Sonne zu sitzen und die Natur um uns zu bewundern. Wir freuen uns nach einem verregneten Schleusentag auf einen heißen Tee im warmem Schiff. Und sind stolz darauf alle Herausforderungen zu meistern. Wir haben unseren Traum von Freiheit, weg von Zwängen und Leistungsdruck, verwirklicht. Jeder kann sich idyllischen Freiraum schaffen, wenn es ihm gelingt Konsumzwang abzulegen und zu dem zu finden was für ihn wirklich wichtig ist. Man braucht kein Boot oder Wohnwagen und man muss kein moderner Zigeuner sein um sich selbst zu finden und Ausgeglichenheit zu erreichen. Die omnipotente Stammzelle des Glücks findet man nur in sich selbst. Schon der weise König Salomon sagte: " Das Beste im Leben ist essen, trinken und sich freuen, alles andere ist nichtig." Doch wir sind ein bisschen traurig. Wieder einmal verlassen wir einen Kanal dessen unberührte Natur und Idylle einem real existierenden Bilderbuch gleicht. |