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Kapitel 5

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Canal de l'Oise à l'Aisne


Aber da haben wir den Canal de l'Oise à l'Aisne ( die Franzosen sagen Canaldelwasalenn, ganz genau so) noch nicht gekannt.
Der Kanal führt durch tief ländliches Gebiet und berührt selten einmal ein Dorf. Die Natur um uns ist schier unbeschreiblich, fast zu unwirklich um noch real zu sein.
Bis weit in den Kanal hinein reichen Bäume und Büsche in verschwenderischer Vielfalt.
Hartriegel und Holunder, dessen Name auf die Frau Holle zurückgeht, fünf Meter hoch und übersäht mit weißen Dolden, dazwischen zu ihren Füßen vorwitzig knallgelber Ginster, kleinere Büsche von Schneebeeren und Pfaffenhütchen. Kreuzdorn und Schneeball, Haselnuss und Gagelstrauch, alles umklammert von der gemeinen Waldrebe, die bis hinauf in die höchsten Bäume klettert und einen undurchdringlichen Lianendickicht windet. Rosenbüsche und Wicken, Efeu und Schilf, Sumpfgras und Margeritten. Beinwell und Dotterblumen. Robinien schütteln ihre weißen Dolden ab. Bis 30 m hohe Silberpappeln, Feldulmen, Silberweiden, Buchen, Erlen und alles überragend die Zitterpappel. Die leichte Brise lässt kleine Zweige und Blätter sich sanft wiegen. Nur die Zitterpappel, die Espe, schüttelt nervös jedes kleine Blättchen und lässt es aufgeregt auf und nieder hüpfen.
Und warum zittert das Espenlaub so sehr? Die Espe kommt nie mehr zur Ruhe, weil das Kreuz Christi aus ihrem Holz gemacht wurde.
Fast hätte ich die Birken vergessen und ganz im Hintergrund und nie an das Ufer reichend die künstlich gepflanzten Weiden. Wie Orgelpfeifen stehen sie Spalier, verachtet und verspottet von ihren wild und frei lebenden Verwandten am Wasser.

Ein Bisam quert den Kanal und verschwindet direkt unter einer Ansammlung gelber Wasserlilien in seinem Bau. Eisvögel schwirren und Meisen rufen nach ihrem Partner. Üppiger und verschwenderischer kann Natur nicht mehr sein. Würde nicht von Zeit zu Zeit eine rostige Passerelle den Wasserlauf queren, könnte nichts den Eindruck in einem menschenleeren Urwald zu sein, verdrängen.

Immer wenn wir einen Nachtplatz gefunden haben, reißt Manfred das Fahrrad von Bord, um die Umgebung zu erkunden und festzustellen wo, der nächste Baguette Lieferant ist. Ob wir zwei oder 10 Stunden unterwegs waren, das spielt dabei keine Rolle. Die Energie dieses Menschen ist einfach zum Kotzen.

In Guny ist er schon fünf Minuten später mit einem Baguette wieder da. Eine prima Gelegenheit für eine gemütliche Brotzeit. Das Baguette ist ein Traum. Es ist überall in Frankreich köstlich, aber dieses ist besonders lecker. Schon die Farbe lässt dich schlucken und erst die Kruste. Eigentlich besteht es nur aus leckerer Kruste.
Manfred grinst. "Du wärst in den Laden gar nicht rein."
"Ha, du weißt scheinbar überhaupt nicht wie unverfroren ich bin."
"Du hättest noch nicht mal gesehen, dass da ein Bäcker ist. Die Inschrift am Haus ist so gut wie nicht mehr zu lesen. Der Lack an der Tür ist abgeblättert. Das kleine Fenster von innen beschlagen und undurchsichtig. Ich hab ganz vorsichtig an der Tür gerüttelt und war selbst erstaunt, dass sie aufging ohne aus den Angeln zu fallen. Eine Theke gibt's nicht, nur einen alten Küchentisch. Rechts ein altes Holzregal mit Broten, links eines mit Honig und Confitüre, drei Weidenkörbe mit Baguette, das ist die ganze Einrichtung. Kasse haben sie auch keine, dafür eine Schublade im Tisch in die das Geld einfach so reingescharrt wird. Aber die Bäckersfrau war sehr freundlich, so'n italienischer Typ, passt eigentlich überhaupt nicht in die normannische Gegend."

Seine Rundfahrt durch den kleinen Ort ergab nur, dass der Kirchturm weggeschossen oder gesprengt wurde, die Kirche noch voller Einschusslöcher vom Krieg und halb verfallen ist.
"Ein armseliges Nest, an dem ist die Zeit tatsächlich vorbei geeilt."

Das hindert ihn natürlich nicht, sich nach dem Aufstehen sofort wieder aufs Fahrrad zu schwingen und Baguette zu holen.
Als er zurück kommt kichert er immer noch.
"Das hättest du sehen sollen. Der Patron hat mich persönlich bedient. Erst hab ich ihn gar nicht so genau gesehen, weil mir die Brillengläser beschlagen sind, so eine Hitze ist in dem kleinen Lädchen. Die Tür zur Backstube stand auf, da drin war eine Knetmaschine, unglaublich. Vornehm ausgedrückt museal.
Der Patron, ein kleiner dürrer Kerl, in schmuddeliger Bäckerhose, nackter Oberkörper, typisch französischer Schnauzbart und schwarz geräucherte Zähne. Wenn ich dir seine Fingernägel beschreibe, isst du kein Stückchen Baguette mehr.
(Ob er wirklich immer noch nicht weiß wie verfressen ich bin?)
Er hat mich ganz perplex angeguckt und ist sofort mit einem unverständlichen Wortschwall über mich hergefallen. War erst zufrieden, als er verstanden hat, dass wir mit dem bateau hier sind. Fremde sieht er wohl selten."

Glücklicherweise erging es meinem Spatzel nicht wie Mrs. Lewis Chase, als sie 1915 das einsame und abgelegene Dorf St. Goazac, am Rande der Montagnes Noires, den Schwarzen Bergen, besuchte. Sie beschrieb diesen Besuch folgendermaßen:
Kleine Kinder klammerten sich an die Rockzipfel ihrer Mütter, sobald sie uns auf der Straße begegneten. Größere und weniger ängstliche Kinder johlten hinter uns her. Eine alte Frau bekreuzigte sich. Offensichtlich waren wir Sendboten des Teufels , denn wir kamen aus der Außenwelt.

Wir sind zwar ziemlich im Hinterland, aber als Teufel aus der Außenwelt hat uns noch keiner beschimpft. Im Gegenteil, alle sind sehr freundlich zu uns.

Unseren nächsten Halt bestimmt ein riesiger Supermarché direkt am Kanal. Bei so einer günstigen Gelegenheit schlagen wir natürlich zu wie ein Neureicher in der Feinkostabteilung. Von Taschentücher zu Klopapier, von Nudeln über Essig zu Waschmittel und Haarfarbe, Rillettes und Käse, Wasser und Saft, alles wird wieder vollgebunkert. Schließlich sind wir schon fast zwei Monate unterwegs.
Drei mal laufen wir für die Vorräte der nächsten Wochen. Alles was wir jetzt an Bord schaffen, brauchen wir schon nicht mehr kilometerweit zu schleppen.

Die Sonne, unser Zentralgestirn, enthält 99,9 % der Gesamtmasse unseres kompletten Sonnensystems, das ist das 330.000fache der Erdmasse.
Könnte man da nicht wirklich erwarten, dass sie auch mal scheint, verflixt und zugenäht??!
Na, ja, wenn einem das Wasser schon bis zum Hals steht, sollte man den Kopf nicht hängen lassen.
Also richten wir uns mal wieder auf ein gemütliches Wochenende im warmen Schiff ein und freuen uns, weil wir einen prima kleinen Landeplatz mit Wasser und Stromanschluss finden.

Das Wasser der Scheitelhaltung des Kanals ist wunderschön sauber, genauso wie der Badesee daneben. Was nützt das bei dem Wetter? Solange die Schwalben fast unter Wasser fliegen, wird sich auch nicht viel ändern. Nach einem arbeitsreichen Wochenende setzen wir unseren Weg fort.



Einen Tunnel dürfen wir alleine durchfahren, dann schleusen wir abwärts Richtung Aisne.
Kanal und Fluss sind landschaftlich einfach eine Wucht.
Bevor wir in die Aisne abbiegen, queren wir "Le Chemin des Dames", den Weg der Damen von Frankreich.



Im 18. Jh. fuhren die Töchter König Ludwig XV. mit Begleitung von Paris zu einem Chateau in der Nähe von Vauclair. Damit die königliche Karosse leichter und bequemer rollen konnte, wurde der Weg mit Steinen belegt. Der Weg der Damen führt über einen 200 m hohen Kamm, der in die Geschichte einging.

Hier errang Napoleon 1814 seinen letzten Sieg vor der Niederlage in Waterloo. Hundert Jahre später besetzen die Deutschen den Pass und bauen den Chemin des Dames zu einer uneinnehmbaren Stellung aus.

So wunderschön und erholsam Natur auch ist, so ist es auch schön wieder einmal in einer größeren Stadt zu sein.